Reiseeindrücke von Jaimie-Lee
Jaimie-Lee macht gerade eine Ausbildung zur Erzieherin im letzten Ausbildungsjahr. Zusammen mit ihrer Freundin Eileen durfte sie in Gallneukirchen/ Österreich ihr sechswöchiges Praktikum in der „Martin-Boos-Schule“ absolvieren.

Während meines sechswöchigen Erasmus+-Praktikums an der Martin-Boos-Schule konnte ich intensive und vielfältige Einblicke in die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen gewinnen. Die Schule verfolgt ein inklusives Konzept und bietet neben Integrationsklassen auch zahlreiche Sonderschulklassen sowie eine arbeitsvorbereitende Klasse (AVL) an. Sie ist eng mit dem Diakoniewerk vernetzt, was sich u. a. in der Kooperation mit Therapiezentren, Werkstätten und sozialpädagogischen Einrichtungen zeigt.

In der ersten Woche erhielten wir eine Einführung in die Organisation der Schule, ihre Klassenstruktur sowie ihre Angebote, darunter Ergotherapie, Logopädie, Snoezelraum, Lehrküche, Schwimmbad und Turnhalle. Aufgrund eines hohen Krankenstandes durfte ich direkt in der AVL-Klasse aushelfen, wo ich Jugendliche bei der Tierpflege am Linzerberg begleitete. Dabei unterstützte ich sie praktisch beim Ausmisten und Versorgen der Tiere und kam mit ihnen ins Gespräch über ihre beruflichen Perspektiven. In dieser Klasse steht nicht der klassische Schulunterricht im Vordergrund, sondern die Entwicklung praktischer Kompetenzen für das spätere Berufsleben. Die Jugendlichen absolvieren regelmäßig Schnuppertage und Praktika, etwa in Werkstätten oder im Einzelhandel.
In den darauffolgenden Wochen arbeitete ich überwiegend in der S1-Klasse mit sechs mehrfach beeinträchtigten Kindern im Grundschulalter. Die Förderung war stark individualisiert und umfasste sowohl pflegerische Aufgaben als auch kommunikative, sensorische und motorische Unterstützung. Viele der Kinder sind auf Hilfsmittel wie Talker oder Tablets mit Symbolsoftware (Metacom) angewiesen, um sich auszudrücken. Täglich fanden strukturierte Rituale statt wie der Morgenkreis, bei dem Begrüßungslieder gesungen, das Datum genannt und Emotionen mit Symbolen dargestellt wurden. Ich lernte, wie wichtig Handführung und Körpersprache im Umgang mit nichtsprechenden Kindern sind.
Ein fester Bestandteil des Alltags war auch die Pflege: Wickeln, Unterstützen beim Essen (z. B. über eine Magensonde oder mit Handführung), Anziehen sowie Begleitung bei Toilettengängen. Der Tagesablauf war dennoch sehr abwechslungsreich: So begleiteten wir die Kinder ins Außengelände, fuhren mit ihnen Go-Kart, machten Rollstuhlübungen, förderten über Spielangebote die Wahrnehmung oder arbeiteten mit visuellen, auditiven und taktilen Reizen.
Besonders kreativ waren Angebote wie das Herstellen von Handabdrücken mit Fingerfarben, Bastelarbeiten mit Krepppapier oder das Anfertigen von Blumenstempeln mit Papierrollen. Im Rahmen der Farbwoche lernten die Kinder gezielt Farben zu benennen, mit Tablets zu buchstabieren und Dinge farblich zuzuordnen. Auch Geburtstage wurden gefeiert, mit Wunderkerzen, Liedern und kleinen Geschenken. Die Atmosphäre in der Klasse war stets liebevoll und unterstützend.
Neben der Arbeit in der S1 konnte ich regelmäßig in anderen Klassen hospitieren und mitarbeiten, etwa in der S2, S7, 2S, 3I, 4I und 7S. In der S2 und S7 lernte ich weitere Kinder mit Beeinträchtigungen kennen, unterstützte sie beim Anreichen von pürierter Nahrung sowie bei der individuellen Betreuung im Snoezelen-Raum oder beim Rollbrettfahren im Flur. In den Integrationsklassen war ich auch im fachbezogenen Unterricht eingesetzt. So half ich z. B. beim Ausfüllen von Arbeitsblättern zu Kinderrechten, beim Erstellen eines Einkaufszettels für eine gesunde Jause oder bei Deutsch- und Mathematikstationen (z. B. „ie & ß“, Steigerungsformen, Division).
Zu den besonderen Höhepunkten zählten ein Ausflug zum Roten Kreuz, bei dem die Kinder Rettungsfahrzeuge erkunden und spielerisch Erste Hilfe erleben durften, sowie der regelmäßige Besuch eines Therapiebegleithundes, der gezielt in den Unterricht eingebunden wurde und den Kindern Nähe, Sicherheit und emotionale Regulation ermöglichte.
Auch das Bewegungsangebot war ein zentraler Bestandteil der schulischen Förderung. In der Turnhalle, im Außengelände, beim Schwimmen oder im Motorikpark übten die Kinder ihre Bewegungskoordination. Einfühlsame Anleitung, Motivation und individuelle Anpassung standen dabei immer im Vordergrund. Rollstuhlübungen, Gleichgewichtstraining oder gezielte Körperarbeit gehörten ebenfalls dazu.

Am Nachmittag unterstützte ich regelmäßig in verschiedenen Ganztagsgruppen (GTS 1–3). Dort standen Hausaufgabenbetreuung, freies Spiel, Vorlesen, Rollenspiele oder kreative Angebote wie Basteln von Osterkörbchen auf dem Plan. Die Nachmittagsbetreuung war sehr alltagsnah und bot Raum für Gespräche über Hobbys, Familie oder persönliche Erlebnisse. Besonders schön war es, die Kinder dort in einem ruhigeren, oft familiären Rahmen zu erleben und ihre Entwicklung im Vergleich zum Vormittag weiter zu beobachten.
Neben der Arbeit an der Schule durfte ich auch externe Einrichtungen kennenlernen. An der SOB Gallneukirchen hospitierte ich in Klassen der Fachausbildung für Sozialbetreuung, nahm an einer Theaterpädagogik-Einheit teil und tauschte mich mit angehenden Fachkräften über ihre Ausbildung aus. Ein weiterer spannender Einblick war mein Besuch beim FAB in Linz, einer Einrichtung für berufliche Integration von Menschen mit Beeinträchtigungen. Dort erfuhr ich, wie Bildungs- und Arbeitsangebote organisiert werden und wie individuell begleitetes Arbeiten aussieht.
Ein besonderer fachlicher Höhepunkt war die Teilnahme an einer Fachtagung zum Thema Autismus in Linz. Dort wurden unter anderem Methoden zur unterstützten Kommunikation und zur Tagesstrukturierung vorgestellt. Die Impulse waren sehr praxisnah und bereicherten mein Verständnis für die individuelle Begleitung autistischer Kinder und Jugendlicher erheblich.

In diesen sechs Wochen konnte ich wertvolle fachliche wie persönliche Erfahrungen sammeln. Ich lernte den Umgang mit unterstützter Kommunikation kennen, erkannte die Bedeutung von Struktur und Beziehungsarbeit im Schulalltag und entdeckte die Vielfalt individueller Fördermöglichkeiten. Auch außerhalb der Schule war diese Zeit etwas ganz Besonderes. An den Wochenenden habe ich in Linz zahlreiche Restaurants und Buchläden erkundet, einer wirklich tollen Stadt. Dort besuchte ich unter anderem das Ars Electronica Center, den Zoo, das Schlossmuseum und das Lentos Kunstmuseum.
Ich bin unglaublich dankbar für diese Erfahrung. Dank Erasmus+, der Martin-Boos-Schule und der Herman-Nohl-Schule durfte ich diese Reise antreten. In diesen Wochen habe ich nicht nur viel über den pädagogischen Alltag in einem anderen Land gelernt, sondern auch über andere Kulturen, Lebensweisen und nicht zuletzt über mich selbst. Ich bin in dieser Zeit über mich hinausgewachsen, habe neue Seiten an mir entdeckt und an Selbstvertrauen gewonnen. Ich werde mich immer mit einem Lächeln an die Reise zurück erinnern.
